Psychiatrische Notfälle

 
Psychische Notfälle im Rettungsdienst
Der Begriff „Rettungsdienst“ wird in der Bevölkerung, soweit das Tätigkeitsfeld überhaupt genauer bekannt ist, meist mit schweren Verkehrsunfällen oder aber anderen schwerwiegenden Verletzungen assoziiert. So ist es auch zu erklären, dass meist Kommentare wie „Da sieht man aber viel Schlimmes!“ oder „Ich könnte so etwas ja nicht machen!“ zu hören sind, wenn ein Mitarbeiter des Rettungsdienstes seinen Beruf nennt. Sofort wird bei den Menschen ein Unfallbild mit viel Blut, schreienden Patienten oder offenen Knochenbrüchen hervorgerufen. Dies wird durch den Umstand begünstigt, dass in der Bevölkerung weitestgehend Unklarheit darüber herrscht, was im Rettungsdienst eigentlich genau getan wird. Deutlich zu sehen sind nur die auffälligen Wagen, die ab und an mit Blaulicht und Martinshorn auf der Jagd nach den entscheidenden Sekunden durch die Straßen fahren. Die Einschätzungen, was das Rettungspersonal im einzelnen an Kompetenz innehat, reicht von Herabstufung – die Rede ist dann häufig vom „Krankenwagenfahrer“ – bis hin zu der Annahme, es würden ausschließlich Ärzte als Personal eingesetzt. Viele Menschen sind schlicht und einfach glücklich darüber, noch nie in die Situation gekommen zu sein, diesen speziellen gesundheitlichen Dienst in Anspruch nehmen zu müssen. Oft gilt die Devise: Hauptsache, im Notfall sind sie rechtzeitig da, die Uniformierten in den meist rot-weißen Fahrzeugen.

Der Alltag im Rettungsdienst sieht allerdings deutlich anders aus, als es in der Öffentlichkeit vermutet wird: Schwerwiegende Verkehrsunfälle oder Wiederbelebungen sind glücklicherweise nicht überall an der Tagesordnung. Vielmehr geht es bei einem Notruf meist um internistische Notfälle wie Herzinfarkte oder chirurgische Notfälle wie Kopfplatzwunden oder geschlossene Knochenbrüche nach einem Sturz. Einen Großteil der Einsätze machen auch die sogenannten qualifizierten Krankentransporte aus, bei denen vorübergehend nicht mehr gehfähige oder gänzlich bettlägerige Patienten liegend und unter Überwachung von einem Ort zum anderen gefahren werden, z.B. vom Altenpflegeheim ins Krankenhaus. 

Ein anderes Notfallbild, das zunächst nichts mit den internistischen oder chirurgischen Ursachen einer Alarmierung zu tun zu haben scheint, taucht seit einigen Jahren immer häufiger in den Notfallstatistiken auf. Des öfteren wird es – auch vom rettungsdienstlichen Personal selbst – gar nicht als akuter Notfall aufgefasst. Dieses manchmal nicht minder lebensbedrohliche Notfallbild gewinnt zunehmend an Bedeutung und macht mittlerweile in manchen Landkreisen mehr als 15 Prozent aller Einsätze aus: der psychische Notfall. Angefangen vom Alkoholiker, der nach dem Konsum von etlichen Flaschen Bier in tiefe Depressionen verfällt bis hin zum versuchten Suizid; in vielen Fällen wird ein psychischer Notfall gar nicht explizit als solcher definiert und protokolliert, da erstrangig die nach außen sichtbaren Folgen einer Handlung versorgt werden – etwa die Kopfplatzwunde bei dem Alkoholiker, die er sich nach einem Sturz im Rausch zugezogen hat oder die Schnittwunden an den Handgelenken nach einer versuchten Selbsttötung.

Besonders in Altenheimen stellt der psychische Notfall ein immer größer werdendes Problem dar. Menschen, die ihr gesamtes Leben gearbeitet haben und nun aufgrund körperlicher Gebrechlichkeiten nicht mehr allein zu Hause zurechtkommen, müssen diese neue Situation in zunächst fremder Umgebung für sich verarbeiten. Schlafstörungen, die im Alter und an ungewohnten Plätzen besonders häufig auftreten, begünstigen in diesem Fall Depressionen und Angstzustände. Diese sind allerdings auch in anderen Teilen der Bevölkerung weit verbreitet. Vorsichtige Schätzungen gehen von etwa 15 Prozent der erwachsenen Menschen in Deutschland aus, die unter krankhafter Angst leiden – wobei Frauen etwa doppelt so oft betroffen sind wie Männer. Solche Angsterkrankungen treten des öfteren in Verbindung mit Depressionen auf und werden durch Alkohol oder Tablettenkonsum zum Teil drastisch verstärkt. Als Folge treten unter anderem Hilflosigkeit, Abhängigkeit, eine durch den Patienten empfundene Bedrohung – die oft nicht präzise beschrieben werden kann – und schließlich der soziale Rückzug auf. 

Psychische wie psycho-soziale Notfälle sind in ihrer Komplexität durchaus mit internistischen Notfällen zu vergleichen. Jedoch lassen sich die Behandlungsmethoden nicht, wie beim Herzinfarkt etwa, standardisieren. Auch die Zeit bei einem Notfalleinsatz ist zu kurz, um sich eingehend mit den Problemen der Patienten auseinander zu setzen und sie zu analysieren. Infolge dessen sind auch kaum Medikamente auf den Rettungswagen vorgehalten, da ihr Einsatz eine genau differenzierte Diagnose voraussetzt. Unter Umständen kommt noch mangelnde Kooperationsbereitschaft seitens der Patienten hinzu. Dies äußert sich zum Beispiel durch Beschimpfungen, Aggressivität oder durch das Ziehen des venösen Zugangs.

Dem Rettungspersonal bleibt zunächst nur, die Folgen von depressiven Handlungen zu behandeln, zum Beispiel die Versorgung von selbst zugefügten Wunden des Patienten. Wie stark bzw. bedrohlich die Angstsymptomatik letztendlich eingeschätzt wird, hängt zu einem nicht unbeträchtlichen Teil von den eigenen Erfahrungen mit Angst, der Einstellung und Persönlichkeit des Rettungsdienstmitglieds zusammen. Entsprechend reicht die Palette der Behandlungsempfehlungen von Bagatellisierungen –„Das ist doch alles gar nicht so schrecklich!“- bis hin zu einem nicht einhaltbaren therapeutischen Überangebot –„Sie können uns Tag und Nacht anrufen, wir sind 24 Stunden nur für sie da!“. Beides ist jedoch im Sinne einer Therapie wenig hilfreich und kann im Gegenteil zu einer Verstärkung der Angstzustände führen.

Die Ausbildung im Rettungsdienst befasst sich überwiegend mit der Vermittlung anatomischer Kenntnisse, dem Lehren einzelner Krankheitsbilder und den dazugehörigen Behandlungsmethoden und mit praktischen Übungen. Auf psychologische Aspekte oder spezielle kommunikative Mittel wird nur am Rande hingewiesen. Erst nach und nach werden von den großen Hilfsorganisationen Kurse angeboten, in denen Personal psychologisch geschult wird – oft auf eigene Kosten! So ist es weitgehend von der Persönlichkeit des Einzelnen abhängig, wie einfühlsam und menschlich ein Mitglied des Rettungsdienstes mit einem psychisch angeschlagenen Patienten umgeht. Am Notfallort sollte deshalb auch die sonstige Hierarchie aufgehoben werden und nicht unbedingt derjenige mit der höchsten medizinischen Ausbildung, sondern derjenige mit der höchsten sozialen Kompetenz das Wort ergreifen. Wichtig ist ebenso eine gewisse immanente Ruhe sowie genügend sachliche Spontaneität, um auf eventuelle Meinungs- oder Stimmungswechsel reagieren zu können. Keinesfalls sollte ein Pulk von Leuten von allen Seiten auf den Patienten einreden und ihn mit Tipps und Ratschlägen überhäufen. Vielmehr sollten gemeinsam mit dem Patienten Lösungsmöglichkeiten entwickelt werden, wie das bestehende Problem am geeignetsten zu mildern oder zu beseitigen ist. Nie sollte über den Kopf des psychisch Labilen hinwegentschieden werden; dies würde vermutlich eher zu Trotzreaktionen und sinkender Kommunikationsbereitschaft führen. Stets sollte dem Patienten das Gefühl vermittelt werden, dass er Herr der Lage ist und selbst bestimmt, was mit ihm geschieht. Dies erfordert neben viel Zeit auch großes Geschick bei Kommunikation und Verhandlung.

Bei allem ist unbedingt zu beachten, dass auch im Rettungsdienst Menschen arbeiten, die zwar medizinisch besonders geschult sind und in der Regel eine gewisse Erfahrung im Umgang und bei der Bewältigung von Extremsituationen haben, deswegen aber keine „Übermenschen“ sind. Das heißt, dass für einen Patienten psychisch anstrengende Situationen auch für einen Helfer extrem belastend sind. Dies gilt sicherlich für sämtliche Notfallarten, sollte bei den psychischen Notfällen allerdings besonders beachtet werden. Somit ist in jedem Fall anzuregen, in diesem immer wichtiger werdenden Zweig der Medizin vermehrt besondere Schulungen und Kurse anzubieten oder diese gleich als einen Teil der Ausbildung anzubieten. Schließlich gilt bei psychischen Notfällen das selbe wie bei allen anderen Unfällen und Notsituationen: Jeden kann es treffen und niemand ist zu hundert Prozent davor sicher! 

     
Kontakt
Marc Krüger
 Pyramidenverleih-Ramsis@gmx.de

Vielen Dank an die Marc Krüger für den Text.


 


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